Die S-Kurve der Erkenntnis

Es ist eine Herausforderung, Gruppen von neuen Vorgehensweisen zu überzeugen. Selbst schlüssige Argumente stoßen dabei schon mal auf große Skepsis. „Kann das wirklich so funktionieren?” – „Das haben wir noch nie so gemacht!” – „In folgendem Spezialfall wird das so nicht gehen…”

Mit Hilfe von Transparenz, Kommunikation und Beteiligung ist es möglich potenzielle Hürden abzusenken. Alles eine Frage des Timings – in S-Kurven denken hilft dabei.

Insbesondere für Scrum Master, Agile Coaches, Product Owner und Führungskräfte ist es Bestandteil der Rolle, neue Handlungspfade zu entwickeln. Das erfordert Fingerspitzengefühl in Kommunikation und Umsetzung, wenn daraus Veränderungen für beteiligte Menschen entstehen. Aber aufgepasst: schnell entsteht ein Verständnis-Ungleichgewicht.

Gut Ding will Weile haben

Als Triebfedern für positiven Wandel verbringen wir viel Zeit damit, unsere Gedanken zu strukturieren, sacken zu lassen, neu aufzunehmen, zu diskutieren, abzuwägen und in eine schlüssige Struktur zu überführen. Das braucht seine Zeit, aber am Ende entsteht ein tiefes Verständnis darüber, dass unser Handlungspfad in die richtige Richtung weist.

Mit unserer wasserdichten Herleitung wird es sicher für die Betroffenen ein Leichtes sein, die Vorteile für sich zu erkennen – denken wir noch vor dem großen Kick-off.

Die S-Kurve der Erkenntnis

Stellen wir uns zunächst unseren Weg der Erkenntnis als S-Kurve vor.

Koordinatensystem Verständnis vs. Zeit mit einer S-Kurve und den Abschnitten Orientierung, Erkenntnis, Reife

Abbildung 1 – der Pfad zu neuen Erkenntnissen kann in drei Phasen beschrieben werden: Orientierung, Erkenntnis, Reife

Erste Phase: Orientierung

Zu Beginn sammeln wir Informationen, spielen erste Ansätze durch, verwerfen sie wieder, tauschen uns aus. Mit der Zeit entwickelt sich eine klarere Vorstellung. Einige Ideen sind vielversprechend, andere werden verworfen. Bei diesem Prozess hilft reger Austausch mit Menschen, die kritisch hinterfragen und ihre Perspektiven einbringen.

Zweite Phase: Erkenntnis

Aus den vielen Informationen und Ideen-Ansätzen entsteht ein guter Überblick über das Gesamtbild. Wir sehen klarer, was in die richtige Richtung geht und was nicht. Wie bei einem Puzzle, das zur Hälfte fertig ist, werden Cluster sichtbar und es ist immer leichter, Anknüpfungspunkte auszumachen. Das beschleunigt das Vorankommen.

Dritte Phase: Reife

Das grobe Bild steht – jetzt geht es an die Details, und der Entstehungsprozess verlangsamt sich. Auch hier ist Feedback von entscheidendem Wert sowie die Erkenntnis, dass sich alles in der Praxis erst beweisen muss. Experimente sind hilfreich, um die wichtigsten Hypothesen zu validieren.

Warum verstehen die das nicht?

Kick-off-Workshops werden gerne in oder nach Phase 3 anberaumt. Kleine Gruppen von Fachleuten und Führungskräften arbeiten bis dahin zunächst unter sich. Anschließend wird das Team über den neuen Weg informiert.

Nun kann es passieren, dass trotz der nachvollziehbaren Argumentationskette, der Kick-off nicht in tosendem Applaus endet. Wahrscheinlicher ist, dass wir in einige fragende Gesichter blicken, die entweder einen Rückschritt oder zumindest keinen Fortschritt sehen. Das hinterlässt für viele Kick-off-Beteiligte einen faden Beigeschmack und kann in lange Detail-Diskussionen münden.

Das Recht auf die eigene S-Kurve

Bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen ist es hilfreich, wenn wir den Beteiligten ihren eigenen S-förmigen Erkenntnis-Prozess zugestehen. Unser Verständnis ist schließlich auch nicht über Nacht entstanden und bedurfte einiger Abwägung und Reife. Wir Menschen brauchen Zeit, um neue Informationen in unserer Gedankenwelt zu verorten.

S-Kurve folgt auf S-Kurve

Abbildung 2 sobald wir andere Personen an unseren Überlegungen teilhaben lassen, beginnt deren S-förmiger Erkenntnis-Pfad

Tragfähige Veränderungsprozesse begünstigen

Um Veränderungsprozesse so zu gestalten, dass sie durch die Betroffenen aktiv mitgetragen werden, haben wir unter anderem diese Möglichkeiten:

Betroffene zu Beteiligten machen

Es fällt leichter eine Veränderung mitzutragen, wenn wir an ihrem Entstehen beteiligt sind und sie nicht nur mitgeteilt bekommen.

In der Regel ist es nicht praktikabel, Veränderungen in einem Komitee aus allen Betroffenen zu entwickeln. Für den ersten Wurf bieten sich kleine Gruppen aus Fachleuten und Führungskräften durchaus an. Es ist sinnvoll, auch Repräsentanten aus den Teams einzubinden, um deren Perspektive mit einfließen zu lassen.

Hilfreich ist, die Transparenz bereits ab Phase 2 herzustellen und den Rest der Belegschaft nicht erst in Phase 3 einzuweihen. Das trägt zur Verkürzung des Gesamtprozesses bei, indem es den Beteiligten ermöglicht, frühzeitig Feedback einzubringen und die eigene S-Kurve zu starten.

Überlappende S-Kurve durch frühe Einbindung Dritter

Abbildung 3 – frühe, transparente Kommunikation gibt den Beteiligten Zeit, sich auf neue Wege einzulassen und verkürzt den Gesamtprozess


Experimente

Egal wie gut wir kommunizieren und argumentieren – es ist unwahrscheinlich, dass am Ende alle glücklich sind. Viele Faktoren bestimmen die Höhe der Akzeptanz:

  • Wie weitreichend ist die Veränderung?
  • Wie neu ist der Denkansatz für die Betroffenen?
  • Gibt es Schmerz/Handlungsdruck?
  • Welche (schlechten) Vorerfahrungen wurden schon gemacht?
  • Ergeben sich wohlmöglich Ängste, dass der eigene Job in Gefahr ist?
  • Wieviel Vertrauen wird denjenigen entgegengebracht, die die Veränderung vorantreiben?

Um Neues auszuprobieren, bietet es sich an, Experimente durchzuführen. Eine kleine Gruppe von Fürsprecher:innen kann den neuen Weg ausprobieren und erste Optimierungen vornehmen. Das Risiko, dass bei ersten Hindernissen die „siehste, das klappt so nicht”-Stimmen laut werden, verringert sich. Stattdessen arbeiten motivierte Experiment-Teilnehmer:innen zusammen, um die Hypothesen praxistauglich zu machen. Diese „Verbündeten” sind später enorm hilfreich, um Erfahrungen mit dem restlichen Team zu teilen und alle an Bord zu holen.

Build projects around motivated individuals. Give them the environment and support they need, and trust them to get the job done.

Fazit

Es kostet Überwindung andere Menschen an unfertigen Ideen teilhaben zu lassen. Fragen, auf die wir noch keine Antworten haben, sind unangenehm. Oft werden auch Ideen geäußert, die wir selbst schon hatten, aber noch nicht vermittelt haben. Es kann das Bild entstehen, dass wir die einfachsten Dinge nicht bedacht haben oder selbst nicht wissen was richtig ist.

Wenn daraus der Wunsch erwächst, nur „fertige” Ideen mit der großen Gruppe zu teilen, besteht das Risiko, dass wichtige Perspektiven übersehen werden. Die Akzeptanz der Veränderung verzögert sich dadurch unnötig oder erstickt im Keim.

In diesem Sinne – seid mutig, denkt an die S-Kurve und beschleunigt eure Veränderungsprozesse durch frühe Beteiligung.

  • Alex vor einer Gruppe

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